Strategiewechsel auf dem Beschaffungs­markt

3 Minuten Lesezeit

Die Corona-Krise hat die globale Wirtschaft weiterhin fest im Griff. Im Laufe der Pandemie haben sich die Lieferprobleme immer weiter verschärft. Insbesondere produzierende Unternehmen müssen ihre Beschaffungsstrategien überdenken, um den Betrieb auch in Zukunft dauerhaft aufrechterhalten zu können.

Was zu Beginn der Pandemie noch ein Worst-Case-Szenario war, ist heute bittere Realität: Lieferprobleme und Out-of-Stock-Situationen prägen das Bild der deutschen Wirtschaft. Bis weit ins Jahr 2022 sollen diese die Unternehmen nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft noch begleiten. Und die Folgen sind im Alltag zu spüren: Wer heute beispielsweise eine bestimmte Waschmaschine kaufen will, muss mit Lieferzeiten von bis zu neun Monaten rechnen. Kein Wunder, denn die Lieferengpässe stellen besonders produzierende Unternehmen vor schwerwiegende Herausforderungen. Ob Automobilindustrie, Baubranche, Fahrradhersteller oder Spielwarenhersteller – sie alle leiden unter den derzeitigen Versorgungsengpässen der Zulieferindustrien. Ohne die entsprechenden Teile können sie ihre Produktion nicht aufrechterhalten. Und das bei einer aktuell rekordverdächtig ansteigenden Nachfrage – ganz nach dem Motto „Schlimmer geht es immer“.

Viele produzierende Unternehmen stehen vor dem Stillstand

Wenn Rohstoffe oder dringend benötigte Teile nicht eintreffen, sind den produzierenden Unternehmen die Hände gebunden. Ohne die benötigte Ware stehen die Maschinen im Betrieb still. Denn die Produktionsprozesse sind häufig so komplex, dass das Fehlen eines einzelnen Artikels die Fertigung von mehreren Enderzeugnissen beeinträchtigt. Die Folge sind teils lang andauernde Ausfälle. Dadurch bleiben Kapazitäten und Arbeitskräfte ungenutzt. Es entsteht eine Situation, die Unternehmen herbe Verluste beschert. Ein Beispiel findet sich beispielsweise in der Automobilindustrie, in der der weltweite Mangel an Halbleitern massive Produktionsverzögerungen verursacht. Halbleiter spielen eine wichtige Rolle in elektrotechnischen Erzeugnissen – auch in Chips. Folglich schränkt der Halbleitermangel die Chip-Produktion ein. Und das wiederum bekommt die Automobilindustrie besonders stark zu spüren, denn Chips werden in jedem Fahrzeug verbaut. Zu den Profiteuren dieser Lieferengpässe zählen die Zulieferer am Beginn der Wertschöpfungskette. So hat der weltgrößte Chipfertiger TSMC im Schlussquartal 2021 einen Rekordüberschuss von 5,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Doch auch hier ist die Nachfrage weiterhin wesentlich größer als das Angebot.

Leerer Markt treibt Preise in die Höhe

Die teilweise hohen Gewinne bei Zulieferern resultieren auch aus den steigenden Einkaufspreisen. Da diese durch Angebot und Nachfrage geregelt werden, gibt es in vielen Bereichen derzeit kaum eine Preisobergrenze. Zulieferer sehen sich mit einer Flut von Aufträgen konfrontiert. Zeitgleich können sie jedoch nicht in ausreichenden Mengen produzieren und liefern. Die Nachfrage bleibt in der Folge ungesättigt und der Preis steigt. Auf dem Markt sind derzeit in einigen Bereichen noch weitere unangenehme Nebeneffekte der Warenknappheit zu spüren: Beispielsweise werden etablierte Geschäftsregeln teilweise komplett außer Acht gelassen. So kann es vorkommen, dass Zulieferer bereits versprochene Ware kurzfristig doch an einen höher bietenden Interessenten verkaufen. Produzierende Unternehmen kämpfen also nicht nur mit Lieferengpässen und steigenden Einkaufspreisen, sondern auch mit der Ungewissheit, ob die versprochene Ware auch wirklich geliefert wird.

Viele Einkäufer versuchen in der aktuellen Situation, möglichst viel Ware für ihr Unternehmen zu sichern. Wenn es darum geht, die eigene Produktion am Laufen zu halten, spielen der tatsächliche Bedarf und der Preis derzeit fast keine Rolle mehr. Es gilt: Wer gefüllte Lager hat, kann Gewinne erwirtschaften. Vor der Pandemie war das grundsätzlich anders: Produzierende Unternehmen haben versucht, ihre Lagerbestände auf ihren tatsächlichen Bedarf abzustimmen. Die benötigten Rohstoffe wurden erst kurz vor Produktionsstart und häufig nur in der benötigten Menge gekauft. Doch die Realität sieht heute anders aus: Das Just-in-time-Konzept hat in der aktuellen Situation ausgedient. Viele Einkäufer können ihre Beschaffungen nicht mehr langfristig und strategisch planen, weil sie nicht wissen, welcher Lieferant überhaupt noch liefern kann. Sie schlagen direkt zu, wenn Rohstoffe verfügbar sind. Eine durchdachte und wirtschaftliche Bestandsplanung sieht anders aus. Doch wie lässt sich das ändern?

Vorausschauende Absatz- und Bestandsplanung

Auch in der aktuellen Situation erfolgreich sind Unternehmen, die eine fest verankerte strategische und softwarebasierte Absatzplanung einsetzen. Idealerweise werden Bedarfe und Kapazitäten frühzeitig, z.B. für die nächsten acht bis achtzehn Monate einkalkuliert. So lassen sich benötigte Materialien und Bauteile bereits frühzeitig reservieren. Eine vorausschauende Planung, die sich bezahlt macht.

Bei vielen Unternehmen läuft das ganz anders. Einkäufer arbeiten mit hochkomplexen Excel-Listen, um den Bedarf zu planen und zeitgleich einen Überblick über die eigenen Lieferanten zu haben. Je nach Größe des Unternehmens kann es weit über 1.000 verschiedene Zulieferer geben. Eine lange Liste entsteht, die oft zu einer unaufhörlichen Suche mit etlichen Telefonaten führt. Aber selbst dann ist nicht gewährleistet, dass die benötigte Ware auch lieferbar ist. Hinzu kommt, dass immer wieder neue Daten in die Tabelle eingepflegt werden müssen. Dabei den Überblick zu behalten, kostet Zeit und ist anstrengend. Die Folge: Einkäufer geraten an ihr Limit. Die Belastung in der Pandemie ist außergewöhnlich und nicht selten rollt eine Welle an Kündigungen auf die Unternehmen zu. Und hier entsteht ein weiteres Problem: Selbst wenn die Stellen neu besetzt werden, fehlt wichtiges Know-how, um sich im über Jahre gewachsenen Einkaufschaos des Vorgängers zurechtzufinden. Fakt ist: Unternehmen müssen ihre Einkäufer entlasten und die Strategie grundlegend ändern. Denn ohne ein vorausschauendes Bestandsmanagement mit einer softwarebasierten Absatz- und Beschaffungsplanung gehen nicht nur Kunden und Mitarbeiter, sondern auch wertvolle Umsätze verloren.

Einkauf optimieren – Software statt Exceltabelle

Digitale Tools unterstützen Einkäufer dabei, flexibler auf die jeweils aktuelle Marktsituation reagieren. Eine Bestandsmanagementsoftware kann beispielsweise auf der Basis tagesaktueller Berechnungen detaillierte Absatzprognosen erstellen. So ist es Unternehmen möglich, den Bedarf der Zukunft zu ermitteln und dabei aktuelle Markteinflüsse und weitere relevante Faktoren zu berücksichtigen. Es gilt, in einem hart umkämpften Wettbewerb um die Ware schnell auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren. Klassische ERP-Systeme sind mit diesen Aufgaben überfordert, da ihre Berechnungen auf statischen Daten beruhen. Spezialisierte Tools unterstützen Einkäufer dabei, große Datenmengen zu bewältigen und so bessere Entscheidungen treffen zu können. Sie schaffen Transparenz und minimieren durch die Automatisierung der Prozesse den Aufwand im operativen Einkauf. Dadurch werden die Mitarbeiter entlastet und können sich auf strategische und taktische Aufgaben konzentrieren. Darüber hinaus helfen digitale Lösungen dabei, eventuelle Störungen entlang der Lieferkette frühzeitig zu entdecken und rechtzeitig gegensteuern zu können.

In unserer Serie „Kampf um die Ware – Strategiewechsel in der Beschaffung“ werden wir das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten. Neue Artikel zum Thema erscheinen demnächst hier im Blog.

 

Foto: © Minicase – stock.adobe.com